Sühnung und Stellvertretung

Diese beiden Seiten des Werkes Christi werden oft nicht genügend unterschieden, wodurch eine undeutliche Verkündigung des kostbaren Evangeliums zustande kommen kann. Gegensätzliche Lehrauffassungen, ja, sogar die verderbliche Lehre der Allversöhnung, können ihren Ausgangspunkt darin haben, dass diese beiden Wahrheiten nicht verstanden werden. Es gilt deshalb, das Wort der Wahrheit auch hierin recht zu teilen.

Sühnung, könnte man sagen, ist die Gott zugekehrte Seite des Opfers von Jesus Christus; denn der Herr Jesus hat Gott an dem Ort, wo Er durch die Sünde verunehrt worden war, hinsichtlich dessen, was Er ist, vollkommen verherrlicht. Gottes Majestät, Gerechtigkeit, Heiligkeit, Liebe, Wahrheit, alles, was Er ist, wurde durch das Werk von Golgatha so wunderbar ans Licht gebracht, dass Gott völlig befriedigt ist.

Stellvertretung ist sozusagen die entgegengesetzte Seite, die nur Bezug auf den Gläubigen hat. Am Kreuz ist der Herr Jesus der Stellvertreter derer im Gericht geworden, die Ihn im Glauben annehmen. Deswegen lesen wir in der Heiligen Schrift: «Er aber hat die Sünden vieler getragen.»

Die Sühnung ist für die ganze Welt vollbracht worden. Wir lesen: «Er ist die Sühnung für unsere Sünden, nicht allein für die unseren, sondern auch für die ganze Welt» (1. Johannes 2,2). Genau übersetzt, heisst es nicht: «Für die Sünden der ganzen Welt»! An keiner Stelle des Wortes Gottes wird gesagt, dass der Herr die Sünden aller Menschen getragen oder gesühnt habe. Wenn das der Fall wäre, würde die ganze Welt errettet sein und niemand verloren gehen können. Gottes Wort ist klar, und wir dürfen nichts hinzufügen oder wegnehmen. Christus ist die Sühnung für die ganze Welt, Gottes gerechten Ansprüchen, seinen Forderungen im Blick auf die Sünde, ist im Tod Christi voll entsprochen worden. Der ganzen Schöpfung kann jetzt das Evangelium der Rettung durch Jesus Christus verkündigt werden.

Der grosse Versöhnungstag, von dem wir in 3. Mose 16 lesen, gibt uns Bilder, durch die wir beide Seiten besser verstehen lernen. Der Bock, auf den das Los für den Herrn gefallen war (denken wir an die Gott zugekehrte Seite des Werkes Christi), wurde geschlachtet und sein Blut wurde durch den Hohenpriester in das Heiligtum gebracht und siebenmal auf den Sühndeckel und vor die Bundeslade gesprengt. Danach konnte Gott wieder inmitten eines verkehrten und unreinen Volkes wohnen und es in seinem sündigen Zustand ertragen. Entsprechend ist durch den Herrn eine Sühnung vollbracht worden, die den heiligen Gott gerade da, wo Er durch den Sünder furchtbar verunehrt worden war, vollkommen verherrlichte.

Auf diese Wahrheit weisen verschiedene Stellen der Heiligen Schrift hin. «Siehe, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt wegnimmt» (Johannes 1,29). In Hebräer 9,26 heisst es: «Er (Christus) ist einmal in der Vollendung der Zeitalter offenbart worden zur Abschaffung der Sünde durch sein Opfer.» Die Frage der Sünde ist also im Werk Christi vollkommen geordnet worden.

Gerade diese Tatsache ist der Ausgangspunkt für die Verkündigung der frohen Botschaft. Niemand ist ausgeschlossen, alle können kommen, denn das Werk und die Sühnung reichen aus für alle. Wenn alle an dem Werk und Blut der Sühnung Anteil hätten, ohne persönlich in Anerkennung und mit Bekenntnis der Sünde und Schuld zu dem Heiland der Sünder gekommen zu sein, wenn der Herr die Sünden aller getragen hätte, brauchten wir die Menschen nicht mehr an Christi statt zu bitten: «Lasst euch versöhnen mit Gott!» (2. Korinther 5,20).

Die Errettung des Sünders ist und bleibt eine persönliche Sache. Der grosse Versöhnungstag zeigt dies im anderen Bock. Auf den Kopf dieses Bockes legte der Hohepriester seine Hände und bekannte die Sünden des Volkes. Bildlich gesehen wurden die persönlichen Sünden durch jemand, der das ganze Volk vertrat, auf den Bock übertragen, der dann fortgeschickt wurde in die Wüste. Die Sünden galten so als für immer weggetan.

Dies ist etwas ganz anderes als das, was wir im ersten Bock vorgestellt finden. Auf den Kopf des ersten Bockes gab es kein Bekennen von Sünden. Sein Schlachten war zweifellos wegen der Sünden des Volkes nötig, und das Blut wurde in die Gegenwart Gottes gebracht. Der zweite Bock aber redet von Stellvertretung, vom Werk Christi für die, die gewissermassen im Glauben ihre Hände auf Ihn gelegt haben, ihre Sünden bekannt und Ihn angenommen haben.

Wenn Gottes Wort von dieser Seite des Erlösungswerkes spricht, finden wir nie Ausdrücke wie «die ganze Welt», oder «alle», sondern es sagt «viele.» Sein Blut wurde «für viele vergossen zur Vergebung der Sünden» (Matthäus 26,28). Er ist «einmal geopfert worden, um vieler Sünden zu tragen» (Hebräer 9,28). So wird auch nur zu Gläubigen gesagt, dass Er unsere Sünden getragen hat, und: «Christus ist für unsere Sünden gestorben» (1. Petrus 2,24; 1. Korinther 15,3). In 2. Korinther 5,21 lesen wir noch: «Den, der Sünde nicht kannte, hat er für uns zur Sünde gemacht.»

Es ist nicht richtig, wenn dem Sünder gesagt wird, dass er nur zu glauben brauche, alle seine Sünden seien bereits auf Golgatha gesühnt. Nur für den Gläubigen gilt, dass alle seine Sünden dort gesühnt wurden, dass er mit Christus gekreuzigt, mit Ihm gestorben, begraben und auferweckt ist. Allein auf den von neuem Geborenen trifft zu, dass Christus ihn von allen seinen Sünden in seinem Blut gewaschen hat.

Es könnte gefragt werden: «Wird der Herr nicht Heiland der Welt genannt, und heisst es nicht auch in der Schrift, dass Er für alle gestorben ist, sein Leben gegeben hat als Lösegeld für alle»? Allerdings; aber diese Stellen stehen im Zusammenhang mit der Bedeutung des Werkes Christi im Sinn der Sühnung, die so weitreichend ist, dass alle errettet werden können. Alle dürfen kommen, sein Werk reicht aus, um jedem zu vergeben, der Ihn als Stellvertreter annimmt. «Wen da dürstet, der komme; wer da will, nehme das Wasser des Lebens umsonst» (Offenbarung 22,17). Das Lösegeld ist für alle da, aber nur die, die ihre Schuld bekennen, Ihm bringen, erhalten Erlass und empfangen Vergebung und Frieden.

Die Schrift redet vom Tragen der Sünde und der Schuld nur im Blick auf solche, die das Werk angenommen haben. Erst wenn jemand nach Sündenerkenntnis und aufrichtiger Buße zum Glauben kommt, kann ihm gesagt werden, dass der Herr alle seine Sünden getragen hat und sie nie wieder hervorgebracht werden.

Zum Schluss seien zwei ähnlich lautende Schriftstellen einander gegenübergestellt, die wieder beide Seiten, Sühnung und Stellvertretung, klar erkennen lassen. In Markus 10,45 redet der Herr zu den Seinen, deren Stellvertreter Er war: «Denn auch der Sohn des Menschen ist nicht gekommen, um bedient zu werden, sondern um zu dienen und sein Leben zu geben als Lösegeld für viele». In der zweiten Stelle wird uns klar die Bedeutung der Sühnung vorgestellt, die geschehen ist, um Gott hinsichtlich der Sünde zu befriedigen, so dass Er dem, der zu Ihm kommt, das Heil schenken kann. Sie lautet: «Denn dies ist gut und angenehm vor unserem Heiland-Gott, der will, dass alle Menschen errettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen. Denn Gott ist einer, und einer Mittler zwischen Gott und Menschen, der Mensch Christus Jesus, der sich selbst gab zum Lösegeld für alle» (1. Timotheus 2,3-5).

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