Um die geistliche Bedeutung der Beschneidung zu verstehen, ist es nötig, verschiedene Schriftstellen zu betrachten.
Zuerst Römer 2,28.29: «Nicht der ist ein Jude, der es äusserlich ist, noch ist die äusserliche Beschneidung im Fleisch Beschneidung; sondern der ist ein Jude, der es innerlich ist, und Beschneidung ist die des Herzens, im Geist, nicht im Buchstaben; dessen Lob nicht von Menschen, sondern von Gott ist.» Das zeigt, dass eine wahre Beschneidung eine innere Sache ist. Sie ist etwas, was im Herzen und Geist Platz greift.
In Römer 4,11 sehen wir dann einen weiteren Schritt: «Und er (Abraham) empfing das Zeichen der Beschneidung als Siegel der Gerechtigkeit des Glaubens, den er hatte, als er in dem unbeschnittenen Zustand war.» Hier wird die Beschneidung als ein Siegel betrachtet. Abraham empfing die Glaubensgerechtigkeit bereits in 1. Mose 15, und deren Siegel in Kapitel 17. Die Beschneidung war also nicht das Mittel zu seiner Rechtfertigung, sondern nur das Siegel der Gerechtigkeit des Glaubens, den er bereits als Unbeschnittener hatte, und zugleich das Zeichen wahrer Absonderung für Gott.
1. Mose 16 können wir in Beziehung bringen zu Römer 7, denn dort ist die Rede von einem Bestreben, auf einem menschlichen, selbst gewählten Weg einen göttlichen Nachkommen zu erlangen, oder, auf Römer 7 bezogen, Frucht für Gott hervorzubringen, indem man in eigener Kraft auf einem gesetzlichen Weg versucht, den Regungen des Fleisches entgegenzutreten. Doch das ist nur im Glauben und in der Kraft des Geistes möglich, der uns gegeben ist als Siegel der Glaubensgerechtigkeit.
Wenden wir uns nun zu Kolosser 2,9-11: «Denn in ihm (Christus) wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig; und ihr seid vollendet in ihm, der das Haupt jedes Fürstentums und jeder Gewalt ist; in dem ihr auch beschnitten worden seid mit einer nicht mit Händen geschehenen Beschneidung, in dem Ausziehen des Leibes des Fleisches, in der Beschneidung des Christus.» Während im Römerbrief auf die Beschneidung in Beziehung zum Geist angespielt wird, wird im Kolosserbrief die Beschneidung zu Christus in Beziehung gebracht. Wenn in dieser Schriftstelle dem Gläubigen gesagt wird, dass er «in Christus vollendet» (oder: zur Fülle gebracht) ist, so benötigt er nicht das Geringste, was das Fleisch dem hinzufügen könnte. Wir sind in Christus vollendet oder zur Fülle gebracht, und die ganze Fülle der Gottheit ist in jenem gesegneten, auferstandenen und verherrlichten Menschen; wir brauchen nicht das Geringste ausser Ihm.
Wenn wir das erkannt haben, sind wir bereit, das anzunehmen, was geschah, als Christus starb, das heisst als Er «abgeschnitten» wurde. Darin sehen wir die «Beschneidung des Christus» – das vollständige Wegtun des Fleisches im Tod Christi. Das betraf den «Leib des Fleisches», das heisst, dass es hier nicht um unsere Tatsünden geht, sondern um die Sünde im Fleisch, nicht um das, was wir getan haben, sondern um das, was wir von Natur sind. Das glaubensvolle Annehmen dieser Beschneidung, die am Kreuz an Christus vollzogen wurde, soll beim Gläubigen zur Folge haben, dass er in der Praxis seines Lebens das Fleisch (die Regungen und Gewohnheiten des alten Menschen) fahren lässt.
Philipper 3,3 fasst endlich die Bedeutung der Beschneidung in den Worten zusammen: «Wir sind die Beschneidung, die wir durch den Geist Gottes dienen und uns Christi Jesu rühmen und nicht auf Fleisch vertrauen.» Wenn jemand hätte auf Fleisch vertrauen können, so war das der Apostel Paulus. Er besass in höchstem Mass alles, was den Ruhm eines Juden ausmachen konnte. Doch er achtete alles, was ihn als Jude vor seiner Bekehrung ausgezeichnet hatte, für «Dreck». Was er auf dem Weg nach Damaskus erlebt hatte, hatte alles verändert; er hatte den verherrlichten Christus gesehen. Von diesem Augenblick an waren alle Vorrechte nach dem Fleisch für ihn Schaden geworden. Christus wurde ihm alles. Es findet eine völlige Veränderung statt, wenn der Mensch aufhört, Mittelpunkt seiner selbst zu sein, wenn er nicht mehr auf seine eigenen Vorzüge vertraut, und Jesus Christus, dem alle Ehre gebührt, Mittelpunkt seiner Zuneigungen, seines Denkens und Handelns wird. Nur auf diesem Weg ist es möglich, durch den Heiligen Geist Gott zu dienen und wahren Gottesdienst auszuüben.